ADL (Adaptive Lenkung) Go live.

In alltäglichen Situationen im SBB-Schienennetz fahren Züge aufgrund der hohen Netzauslastung mit grosser Regelmässigkeit unvorhergesehen auf Halt zeigende Hauptsignale und müssen dadurch unnötig oft abbremsen bzw. anhalten. Die ungeplanten Halte und damit verbundenen Brems- und Anfahrmanöver führen zur Verschwendung von wichtigen Ressourcen (Verschleissmaterial beim Bremsen, Energie durch das Anfahren bzw. Beschleunigen).
Die Kernfunktionalität des Projektes ADL ist die Berechnung eines energieoptimalen Fahrprofils für Zugfahrten in real-time bei laufendem Verkehr. Zu diesem Zweck wird das gesamte Netz online analysiert und die Fahrsituationen aller Züge im Netz gleichzeitig bewertet. Das von ADL errechnete, energieoptimale Fahrprofil für den einzelnen Zug berücksichtigt neben den Fahrplananforderungen auch die aktuelle Betriebslage aller anderen Züge und die Prognose des jeweiligen Zuges. Diese Berechnungen erfolgen serverseitig zentral für alle Züge des Netzes in einem kontinuierlichen, near-realtime Optimierungsprozess.
Die Optimierung des Fahrprofils geht dabei von der Überlegung aus, eine vorhandene Fahrzeitreserve so auf eine Zugfahrt zu verteilen, dass möglichst wenig Traktionsenergie verbraucht wird und ohne weitere Züge in ihrer Fahrt zu beeinflussen und zu ungeplanten Signalhalten zu zwingen.

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Die für einen Zug zu verteilende Fahrzeitreserve entsteht beispielsweise durch einen prognostizierten, ungeplanten Signalhalt (Konflikterkennung mit Haltekonsequenz). Wird im Rahmen der Optimierung die Geschwindigkeit vor dem Signal reduziert statt den Zug am Signal zu stoppen, so ist insgesamt ein geringerer Energieverbrauch zu erwarten.
Der Abschnitt einer Zugfahrt, auf dem die Fahrzeit erhöht werden kann, ohne andere, folgende oder kreuzende Züge zu beeinflussen, wird als Zugfolgekorridor bezeichnet. Diese Korridore werden im Rahmen der vorhandenen Konflikterkennung individuell für jeden Zug kontinuierlich berechnet.
Das energieoptimale Fahrprofil wird in Form von Durchfahrtszeiten und Durchfahrtsgeschwindigkeiten an Fahrplanstützstellen errechnet. Fahrplanstützstellen sind mindestens alle Betriebspunkte und Signalstandorte, die bereits in den Eingangsdaten der Zugfahrt angeben waren. Ferner sind die Durchfahrtszeiten und Durchfahrtsgeschwindigkeiten für alle Punkte anzugeben, an denen sich die optimierte Geschwindigkeit um einen bestimmten Betrag ändert.
Die Zielfunktion der Optimierung ist die Minimierung der Traktionsenergie für eine Zugfahrt auf einem gegebenen Abschnitt (Korridor).

Das Konzept von ADL für die Übermittlung der Geschwindigkeitsinformationen an den Lokführer sieht eine Übermittlung nur an bestimmten Stützstellen vor. Dies bedeutet, dass das Fahrprofil nicht aus sich kontinuierlich ändernden Geschwindigkeiten bestehen darf. Geschwindigkeitsänderungen sind in diesen Fällen nur an ausgewählten Punkten zulässig
Die mit ADL erzielbare Einsparung im Gesamtnetz beträgt mit der gegenwärtigen Verkehrsdichte voraussichtlich 3.1%.
Im April 2014 wurde der seit Dezember 2013 stattfindende Feldtest von ADL auf die gesamte Schweiz und das SBB Netz ausgeweitet. Seitdem befindet sich das System ADL quasi im produktiven Betrieb. In der Zeit zwischen Mai 2014 und Dezember 2014 wurden an den technischen Komponenten von ADL nur marginale Verbesserungen vorgenommen, die zumeist aus den fachlichen Analysen des Feldtestes und den Erfahrungen der Anwender her rührten. Die technischen Komponenten von ADL laufen derzeit sehr stabil im Betrieb und sind Teil der hochverfügbaren Plattform RCS, in die sich die Module von ADL nahtlos einfügen.
In der Feldtestphase ab Mai 2014 haben sich interessante Erkenntnisse ergeben, die insbesondere aus Sicht eines IT Projektes nur schwer vorab sichtbar waren für das Projektteam. Insbesondere die Schulungen des Betriebes und der Lokführer, haben diese Erkenntnisse zu Tage gefördert. So waren die Schulungen für die beiden grossen Anspruchsgruppen der Lokführer und der Betriebsdisponenten und Fahrdienstleiter in erster Linie darauf abgestützt, die Funktionalität von ADL aus der eigenen Sichtweise des jeweiligen Bedieners zu erläutern. Im Zuge des Feldtestes zeigte sich aber, dass gerade das gegenseitige Verständnis von Lokführer und Betriebsdisponenten ein entscheidender Erfolgsfaktor für ADL nicht ausreichend Raum eingeräumt wurde. So konnte der Lokführer einige Lenkungen von ADL nicht verstehen ohne ein Verständnis der Gesamtsituation zu erhalten und der Betriebsdisponent musste lernen, das mit ADL eine wesentlich aktivere Steuerung jeden einzelnen Zuges notwendig war, um tatsächlich effizient den Verkehr zu steuern.
Erst als das Projekt ADL in einer schweizweiten Schulungsaktion beide Anspruchsgruppen zusammen an einen Tisch zur gegenseitigen Schärfung und Austausch von Betriebs- und Verkehrssituationen gebracht hatte, wuchs das gegenseitige Verständnis für die Lenkungen.
Dem Projekt ADL wurde bewusst, das in der gesamten Geschichte der Bahn es noch nie ein System gegeben hatte vor ADL, welches die tausenden von Mitarbeitern auf Seiten des Lokpersonals und des Betriebes so eng und direkt miteinander verbunden hatte.

In der Feldtestphase von ADL werden zurzeit ca. 800/1000 Züge pro Tag gelenkt. Das ist ein sehr gutes Ergebnis, welches aber in Bezug auf die Gesamtzielerreichung noch zu steigern ist.

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Abb.: Anteil Lenkungsfreigaben (ADL) pro Tag über Woche gemittelt

Durch vermehrte Schulung und durch intensive Nutzung der Automatik Funktionen von ADL, die dem Betriebsdisponenten die Arbeit erleichtern, nicht jeden Zug einzeln lenken zu müssen, sondern direkt und ohne manuelle Eingriffe die Züge energieoptimal lenken, konnten die Werte für die Einsparung an Energie von Woche zu Woche signifikant gesteigert werden.

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Abb.: Eingesparte Kilowattstunden pro Tag über Woche gemittelt

An Spitzentagen wird mit Hilfe von ADL ca. 170.000 KwH Strom pro Tag gespart.
Momentan sind erst ca. 40% der Cargo Lokführer an das System ADL angemeldet. Technisch könnten es zwar bereits seit geraumer Zeit nahezu 100% sein, aber auch die Cargo Lokführer müssen sich erst langsam an die Anmeldung an ADL gewöhnen. Insbesondere die zumeist schwierigere Fahrweise mit grossen Lasten sowie die Pufferzonen, die der Fahrplan für Cargo Züge vorsieht, lassen erkennen, dass es für die Cargo Lokführer noch ein Stück Weg ist, um mit ADL optimal umzugehen. Gleichwohl existiert hier bei den Cargo Zügen aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften insb. Gewicht das grösste energetische Einspa-rungspotenzial. Dieses noch nicht optimal ausgeschöpfte Potenzial bei Cargo Zügen lässt auch die Hochrechnung zu, das der Business Case von ADL, der bei ca. 200.000 KwH pro Tag Energieeinsparung liegt, in 2015 erreicht werden kann.

Insgesamt geht per Ende 2014 mit ADL ein IT Projekt zu Ende, welches in Bezug auf Qualität, Kosten und Termintreue, die Vorgaben allesamt eingehalten hat. In Bezug auf die Innovationskraft der Bahnproduktion der SBB stellt ADL aber vielmehr einen echten Meilenstein dar. Nur selten berührt ein IT System konzernübergreifende Anspruchsgruppen und beeinflusst ca. 5.500 Mitarbeiter im Konzern direkt in ihrer täglichen Arbeit. Und noch viel mehr bringt ADL zwei der wichtigsten Gruppen von Mitarbeitern zusammen, um den dichtesten Bahnmischverkehr der Welt zu steuern. Noch nie in der Geschichte der Eisenbahn konnte flächendeckend ein Betriebsdisponent so direkt den Verkehr steuern und noch nie konnten die Lokführer so direkt an den Unternehmenszielen Energieeffizienz und Pünktlichkeit partizipieren wie mit ADL.
Und darin liegt auch die enorme Chance für den dichten Bahnverkehr, in dem mit ADL ein weiterer IT Baustein geliefert wurde, um auch zukünftig einen optimalen Bahnverkehr für den Reisenden zu ermöglichen.
In Bezug auf die Ausbaumöglichkeiten dieser neuen und viel direkteren Kommunikationskanäle, gibt es viele Ideen zur weiteren Entwicklung. Wir von SCI wollen auch in Zukunft die Bahnproduktion der SBB mit der besten Technik weiterhin unterstützen und da ist ADL erst der Anfang in diese Richtung gewesen.

Quelle: SBB